Tragfähige Tech-Entscheidungen im Hotel
Neue Systeme klug bewerten, sicher ausrollen und das Team mitnehmen – Erkenntnisse aus meinem Austausch mit Victoria Fischer (Commercial Director, Pentahotels)
Worum geht’s?
Viele Betriebe haben längst mehrere Tools eingeführt – und trotzdem fühlt sich so mancher Go-Live wie ein Kaltstart an. In meinem Gespräch mit Victoria Fischer sind mir drei Konstanten hängen geblieben: harte Auswahlkriterien, echte Produktprüfung statt Buzzword-Falle und ein ehrlicher Fokus auf Adoption – mit praxisnahen Trainings statt „Uni nur im Browserfenster“. Darauf aufbauend habe ich einen allgemein nutzbaren Leitfaden formuliert, den du auf jedes Haus übertragen kannst.
„Ein System kann auf Papier großartig sein. Wenn das Team es im Alltag nicht sicher beherrscht, ist es wenig wert.“ – Victoria Fischer
Was du hier mitnimmst: Wie du Use Cases priorisierst, Versprechen von Anbietern verifizierst, Compliance & Legal sauber orchestrierst, den Rollout planst – und dafür sorgst, dass Kolleg:innen die Tools wirklich verwenden.
Denkklarheit zuerst: Hotel-Tech hat zwei Gesichter
Technologie im Hotel ist nicht „ein neues Tool“. Sie ist ein Geflecht aus Prozessen, Datenströmen, Rechtsrahmen und Gasterwartungen. Die erste Falle: alles über einen Kamm scheren. Besser trennen und gezielt messen:
Guest-Facing Tech – alles Sichtbare in der Gästereise: Buchung, Kommunikation, Pre-Stay & Check-in/out, digitales Ordering, Payment, Feedback. Kennzahlen: Conversion, Zufriedenheit, Wartezeiten, Fehler.
Employee-Facing Tech – die Arbeitswerkzeuge fürs Team: PMS, POS, CRM, RMS, M&E/S&C, Payment-Gateway, BI, Ticketsysteme, IT-Backends. Kennzahlen: Durchlaufzeit, Datenqualität, Prozesssicherheit, Auditfähigkeit, Supporttempo.
Diese saubere Trennung verhindert, dass ein schickes Frontend das Backoffice lahmlegt – oder ein starkes Backend die Gästereise alt wirken lässt. Du bewertest Nutzen und Risiko je Sphäre und legst Prioritäten am tatsächlichen Engpass fest.
Zwei Türsteher: Umsatzwirkung oder Effizienzgewinn – sonst kein Einlass
Bevor ein Anbieter in Runde zwei kommt, steht eine klare Hürde:
Entweder das System zahlt messbar auf Revenue ein oder es senkt Zeit- und Personalkosten spürbar. Im Idealfall beides. Wenn keins von beiden greift, ist es – so nüchtern es klingt – kein Projekt. Diese Strenge schützt Fokus, Budget und Energie.
So setzt du’s um:
- Vorab eine Nutzenhypothese notieren (etwa „−30 % manuelle Reservierungs-Schritte“, „+1,5 %-Punkte Engine-Conversion“, „−20 % Payment-Fehler“).
- Mit dem Anbieter Pilot-KPIs und Messzeitpunkte fixieren (vorher / während / nachher).
- Ebenso festhalten, was nicht gemessen wird – Transparenz verhindert spätere Diskussionen.
Use Cases entstehen im Betrieb – nicht nur im Head Office
Die stärksten Impulse kommen aus dem Alltag: Front Office, Reservierung, Housekeeping, F&B. Öffne einen schlanken Einreichungsweg für alle Ebenen (Template mit Problem, Zielbild, betroffene Prozesse, grobe Nutzenannahme).
Warum das funktioniert:
- Du vermeidest Top-down-Fehlkäufe, weil reale Abläufe die Richtung geben.
- Du stärkst Ownership: Wer vorschlägt, trägt mit – das hebt die Akzeptanz.
- Du entdeckst blinde Flecken früh (z. B. Nachtdienst, Schichtwechsel, Bargeldfrei-Prozesse).
Beispiel: F&B regt App-Ordering an, weil Service knapp ist. Ergebnis: Mehr Tische pro Schicht, weniger Wege, weniger Rückfragen – spürbar schnellere Abwicklung. Gastzufriedenheit rauf, Team entlastet. Die Gatekeeper sind erfüllt.
RFP & Deep Dive: Nicht an Checkboxen kleben bleiben
Die klassische RFP-Liste mit „Feature X vorhanden? – Ja/Nein“ ist ein Start, aber: „Ja“ ist dehnbar – Roadmap, nur im Submodul, nur für Segmente, „theoretisch via Partner“. Darum brauchst du Szenarien und Deep Dives bis in die letzte Prozesskante.
Praktisch bedeutet das:
- Demo mit deinen echten Daten (Raten, Steuern, Rechnungslogik, Storno, No-Show, Firmenkunde, Landespflichten).
- Fehlerszenarien durchspielen: Timeout, Doppelzahlung, abgebrochener Check-in. Welche Logs? Welche Alerts?
- Abhängigkeiten klären: Wer verantwortet Mapping, Events/Webhooks, Retry-Logik, Wartung? Wie transparent ist der Fehlerpfad?
Ein gutes Beispiel: Attribute Based Selling (ABS). Charmant in der Theorie, in der Praxis oft kritisch wegen Preisparität, OTA-Darstellung oder RMS-Integration. Wenn die schöne Front-Story dein Ratenmodell vernebelt oder Mehrarbeit verursacht, ist „(noch) nein“ professioneller als Trends hinterherlaufen. Standhaft bleiben ist eine Stärke.
Journey zuerst: Zielbild definieren, danach Systeme auswählen
„Unser PMS nervt, also tauschen wir es – und den Rest bauen wir später drumherum.“ Ein Klassiker. Besser andersrum: Zuerst zeichnest du die Guest- und Employee-Journey über alle Berührungspunkte – erster Kontakt bis Abrechnung, inklusive Pflichtangaben, Zahlungsflüsse, Finance-Reports, Audits und dem, was du morgen willst (z. B. Personal Pricing, Loyalty, Marketing-Automation). Danach suchst du die Systemkombination, die dieses Zielbild realistisch trägt.
Das bringt dir:
- Weniger Blockaden durch frühe Fehlentscheidungen.
- Gezieltere Verhandlung, weil unverhandelbare Integrationen klar sind.
Planbare Migrationen (Datenmodell, IDs, Rechte, Archivierung).
Compliance & Sicherheit: Bremse – und doch dein Schutzengel
DSGVO, AVV/TOMs, Sub-Prozessoren, Löschkonzept, Verschlüsselung, Rechte – ja, das kostet Zeit. Und ja, ohne Go von Legal/DSB kein Go-Live. Wer hier früh Ordnung schafft, spart später Wochen.
So bleibt es handhabbar:
- Standardisierte Fragebögen und Checklisten (für Anbieter & intern).
- Feste, wiederkehrende Slots mit Legal/Datenschutz und Anbieter, um Ping-Pong zu vermeiden.
- Ein Datenfluss-Schema (welche Daten, wohin, wie lange, zu welchem Zweck).
- Klare Rollen & Entscheidungen: Wer prüft? Wer zeichnet ab? Wer dokumentiert?
Externe Datenschutz-/Legal-Expertise dazu zu holen ist keine Übertreibung. Sie verhindert teure Re-Rollouts und gibt dem Team Rechtssicherheit.
Cross-funktional statt Inseldenken: Wer stellt die „harten“ Fragen?
Viele Einführungen scheitern, weil Abteilungen nur ihre Sicht prüfen. Erfolgreich ist, wer eine Systems/Operations-Rolle etabliert – dauerhaft oder projektbasiert. Diese denkt PMS, POS, Payment, S&C, RMS, CRM, BI und Integrationen als Gesamtprozess.
Ihr Auftrag:
- In jedem Pitch die unbequemen Integrationsfragen stellen (Datenhoheit, Mapping, Events, Fehlerkultur, Supportpfade, SLAs).
- Follow-the-data: vom ersten Klick bis ins Hauptbuch.
- Übersetzen zwischen Fachlichkeit und Technik – weg von „Tech-Sprech“, weg von „Marketing-Poesie“.
Fehlt dir diese Rolle, hol dir temporär externe Projektleitung – mit klarem Mandat und Ende-zu-Ende-Blick.
Interne Kommunikation: Weg vom „FYI“ hin zur Nutzenstory
Akzeptanz entsteht nicht von selbst. Eine nüchterne Go-Live-Mail erzeugt Widerstand. Besser: internes Storytelling – wie eine Mini-Kampagne – zugeschnitten auf Rollen.
Beantworte pro Zielgruppe vier Punkte:
- Warum jetzt? (Ziel, Engpass, Beitrag)
- Was ändert sich für mich? (Abläufe, Screens, Schichtlogik, Schnittstellen)
- Was hab ich davon? (Zeit, Fehlerreduktion, weniger Rückfragen, zufriedenere Gäste)
- Wo bekomme ich Hilfe? (Sprechstunden, Champions, Kanal, Antwortzeiten)
Wenn Vorteile pro Rolle spürbar sind, steigt Adoption – und damit die Amortisation.
Wirksam schulen: Praxis schlägt E-Learning
„Bitte Videos anschauen, dann klappt’s.“ Meist nicht. Standard-Akademien sind häufig zu generisch und weichen von deinen SOPs ab. Erfolgsrezept: On-property-Workshops am echten Prozess, anschließend Refresher nach einigen Wochen. Ergänzt um Premium-Support mit garantierten Reaktionszeiten und echten Menschen.
Bewährte Bausteine:
- Rollenbasierte Quick-Guides (max. 2 Seiten) für FO/Res/Backoffice – gedruckt oder digital.
- Open Clinics in der Go-Live-Woche (täglich 30–45 Min) für Ad-hoc-Fragen.
- Shadowing in Peak-Zeiten, damit niemand allein bleibt.
Ticket-Tags für Go-Live-Themen, um Muster zu erkennen und gezielt nachzuschärfen.
KI pragmatisch nutzen – sauber gerahmt
KI zieht Buzzwords an. Realen Mehrwert liefert sie dort, wo Handarbeit verschwindet: Textvorschläge, Klassifizierung, Routing, Voice-Bots in der Reservierung, Auffälligkeiten in Zahlungen. Eigene LLMs brauchst du nicht. Wichtiger ist ein klarer Rahmen: Welche Daten dürfen wohin? Wie anonymisieren wir? Wo braucht es menschliche Freigaben? Wie protokollieren wir?
Achte bei Anbietern auf substanziell verankerte KI-Funktionen: erklärbare Logik, Audit-Trails, Overrides, klare Eskalationswege. So bleibt die Steuerung bei dir.
Partner auswählen: Heute Probleme lösen, morgen mitwachsen
Der beste Partner überzeugt nicht durch endlose Featurelisten, sondern durch eine Roadmap, die zu deinem Zielbild passt. Offene, gut dokumentierte APIs, Transparenz in der Fehlerkultur, echte Investitionen in Weiterentwicklung. Ergebnis: Du wechselst nicht alle zwei Jahre das Ökosystem – und dein Team bleibt stabil.
Fragen, die du stellen solltest:
- Versionierung & Abkündigungen – wie früh werde ich informiert?
- Sandbox & Datenmodell – kann ich realitätsnah testen?
- Support & SLA – wer antwortet, wie schnell, wie tief?
Roadmap-Prozess – wie fließt mein Feedback ein?
Schritt für Schritt: Von der Idee zum stabilen Go-Live
1) Zielbild schärfen
Guest- & Employee-Journey Ende-zu-Ende skizzieren. Pflichtfelder (rechtlich/landesspezifisch), kritische Übergaben (PMS ↔ Payment ↔ Finance) und künftige Vorhaben (Personal Pricing, Automation, Loyalty) markieren. Das ist dein Nordstern.
2) Use Cases sammeln & priorisieren
Pipeline für alle Standorte/Funktionen öffnen. Scoring nach Umsatz/Effizienz, Risiko, Integrationsaufwand, Change-Impact. Nur Vorhaben mit klarem Nutzen gehen weiter. Ablehnungen transparent dokumentieren.
3) Shortlist & RFP aufsetzen
Anforderungen als Szenarien formulieren statt Checkboxen. Beispiel: „Business-Rate mit Karte X, Rechnung mit MwSt Y, Storno Z am Anreisetag – was passiert in PMS/Payment/Finance? Welche Logs/Alerts?“
4) Deep Dives & Tech-Tests
Demos mit echten Daten. Prüfen: Feld-Mapping, Events/Webhooks, Rechte, Audit-Trails, Backup/Restore, Fehlermeldungen, Retry. Gaps dokumentieren. Klären: Workaround tragfähig? Roadmap belastbar? Bei No-Go: Abbruch ohne Reue.
5) Compliance & Security parallel
AVV/TOMs, Sub-Prozessoren, Datenpfade, Löschkonzepte. Fixe Zeitslots mit Anbieter & Datenschutz, damit nichts liegen bleibt. Datenflussdiagramm aktuell halten – erspart Debatten.
6) Pilot & KPIs
1–3 Häuser mit unterschiedlichen Profilen wählen. Vorher/Nachher-Metriken festlegen (Durchlaufzeiten, Fehlerquote, Conversion, NPS/CSAT) sowie qualitative Lernziele. Stop-/Go-Regeln definieren.
7) Change & Kommunikation
Nutzenstory je Rolle erzählen. Termine, Open Clinics, Quick-Guides, SOP-Updates. Champions pro Haus/Funktion benennen, die Feedback aufnehmen und Mini-Demos geben.
8) Training & Go-Live-Support
On-site-Workshops mit Realfällen. War Room in der Go-Live-Woche (klar erreichbar). Premium-Support aktiv, Eskalationswege getestet. Tickets taggen, täglich Muster auswerten.
9) Stabilisieren & nachschärfen
Nach 3–6 Wochen: Refresher, SOP-Finishing, Automationen aktivieren, Rechte prüfen, doppelte Schritte entfernen. Erfolge transparent machen (Dashboards, Kurzreports).
10) Rollout & Skalierung
Pilot-Playbook finalisieren, in den Flächenrollout überführen. Roadmap-Gespräche mit dem Anbieter fortsetzen. Regelmäßige Retros (alle 6–8 Wochen): Was bremst, was wirkt, was automatisieren wir als Nächstes?
Typische Stolpersteine – und wie du sie umschiffst
- Trend vor Tauglichkeit: ABS, KI & Co. nur, wenn Journey, Preislogik und Datenflüsse konsistent bleiben.
- Zu flache RFPs: Szenarien statt Ja/Nein; echte Daten statt Demo-Set.
- Silos statt Prozessblick: Cross-funktional prüfen – FO, Reservierung, Revenue, Finance, IT, Data.
- „E-Learning genügt“: Praxis-Training & Refresher einplanen, Premium-Support sichern.
Spätstarter bei Compliance: Legal & Datenschutz ab Tag 1 einspuren
Morgen umsetzbar
- Drei Top-Use-Cases mit ROI/Effizienz-Hypothese formulieren.
- Zielbild der Journey auf eine Seite bringen (Gast & Team).
- Einen Szenarien-Katalog für Demos/Tests erstellen.
- Champion-Runde je Haus/Funktion benennen.
- Pilot-KPIs & Messplan inklusive Stop/Go definieren.
Schlussgedanke
Nachhaltige Tech-Entscheidungen sind kein Glücksgriff. Sie entstehen aus klaren Kriterien, ehrlicher Produktprüfung, sauberem Change-Management und respektvoller Zusammenarbeit. Wer Journey und Daten ernst nimmt, wird schneller – nicht trotz, sondern wegen Compliance und Struktur.
Die Beispiele und Impulse hier sind inspiriert vom Gespräch mit Victoria Fischer. Das Wesentliche: Du kannst alles unmittelbar auf deinen Kontext übersetzen. Klein starten, sauber messen, ausrollen, lernen – und ein Tech-Fundament bauen, das dein Haus über Jahre zuverlässig trägt.
FAQs Smart-Data
Big Data beschreibt die Masse aller gesammelten Daten wie Buchungen, Bewertungen oder Website-Events. Smart Data bedeutet, diese Informationen zu filtern, zu strukturieren und in einen Kontext zu bringen, der handlungsfähige Entscheidungen ermöglicht.
Ohne saubere Basis entstehen Widersprüche, Dubletten und Fehlinformationen. Erst wenn Daten gepflegt und einheitlich sind, können Tools effektiv arbeiten und echte Mehrwerte schaffen.
Unpräzise oder veraltete Informationen führen zu Frust, falschen Erwartungen, negativen Bewertungen und Umsatzverlusten. Besonders bei automatisierter Kommunikation können kleine Fehler große Auswirkungen haben.
Mit klar definierten Datenmodellen, Verantwortlichkeiten (Governance), Schnittstellen zwischen Systemen, regelmäßigen Updates und Feedback-Loops. Ziel ist eine zentrale „Single Source of Truth“.
Smart Data reduziert Rückfragen, erhöht die Gästezufriedenheit, steigert Direktbuchungen, verbessert Conversion Rates und schafft Raum für personalisierte, relevante Kommunikation.
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